biblio: LUCHS des Jahres 2006

Reinhard Ehgartner reinhard.ehgartner at biblio.at
Fr Jan 19 21:00:46 CET 2007


Liebes biblio-forum,


hier die Weiterleitung eines Mails aus der Schulbbiblist (www.schulbibliotheken.at/) zur Auszeichung von Guus Kuijpers "Das Buch von allen Dingen" als "LUCHS des Jahres 2006".

Besprechungen des Buches auf "Rezensionen online" finden Sie unter:
http://www.shortlink.org/1153

mit lieben Grüßen
Reinhard Ehgartner


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©  DIE ZEIT, 18.01.2007 Nr. 04

http://www.zeit.de/2007/04/KJ-Luchs?page=all

LUCHS des Jahres 2006

Die Jury von ZEIT und Radio Bremen prämiert den Kinderroman des
niederländischen Autors Guus Kuijer »Das Buch von allen Dingen«.

Luchs-Jahressieger 2006: »Das Buch von allen Dingen« von Guus Kuijer

Was er denn mal werde wolle, fragt die alte Frau den Jungen. »Glücklich«,
sagt der auf Seite 24. »Ich werde später glücklich.« Allein für diesen Satz
sollte der niederländische Autor Guus Kuijer (sprich Keuer) jeden
alternativen Literatur- und Lebenspreis erhalten, zumal er vorher und
nachher zart und zugleich herb beschreibt, wa-rum der neunjährige Thomas so
weit entfernt vom Glück lebt. Er wächst im Amsterdam der fünfziger Jahre
auf, mit einem Vater, der als religiöser Eiferer die Familie unterdrückt und
züchtigt, mit einer liebevollen Mutter, die ängstlich bemüht ist, nichts
davon nach draußen dringen zu lassen, und einer älteren Schwester Margot,
die am Ende alle Regeln bricht. Als Thomas die schwarz gekleidete Nachbarin
kennenlernt - eine Hexe, sagen die anderen Kinder - geht ihm eine neue Welt
auf, mit Büchern, die sie ihm leiht, einem Grammofon, auf dem sie ihm
Schallplatten vorspielt, und der Ahnung, dass alles anders sein kann. »Weißt
du, womit das Glück anfängt? Damit, dass man keine Angst mehr hat.«
Nach einem langen Kinderbuchjahr, nach zwölf monatlich prämierten Büchern,
zwölf Luchsen, hat sich mit Das Buch von allen Dingen in der Endausscheidung
ein schmaler Roman klar durchgesetzt, dessen Zeit so fern scheinen könnte
und dessen Gefühle und Themen so nah sind. »Bücher handeln von allem, was es
so gibt«, erklärt die Nachbarin, dem Jungen, der zu Hause nur die Bibel zu
hören kriegt, der sich in seine Fantasie rettet und über alles, was andere
nicht sehen, in seine Kladde schreibt, in sein Buch von allen Dingen: von
gefallenen Blättern mitten im Sommer, von bunten tropischen Fischen, die in
der Gracht schwimmen, von einem wunderschönen Mädchen mit einem knirschenden
Lederbein und vor allem von Jesus, mit dem er sich unterhält und der es auch
nicht leicht mit seinem Vater hatte. Der ließ ihn schließlich sogar ans
Kreuz schlagen, ob er wollte oder nicht, da kann Thomas noch von Glück
reden. Es zieht ein ganz leichter, heiter vertrauensvoller Ton durch diese
Geschichte - von Sylke Hachmeister wie selbstverständlich ins Deutsche
übersetzt - die sich zwischen der - vom Vater gut gemeinten -, Härte und der
Erlösung durch Menschlichkeit und Schönheit bewegt. »Du kannst Jesus zu mir
sagen.«, meint der hilfreiche »Herr Jesus« einmal, überlässt es aber doch
Guus Kuijer, mit einer unglaublich dramatischen Szene in der Küche der
Familie jenen Augenblick zu beschreiben, der die Grenze zwischen Gewalt und
Freiheit markiert. Dass Gewalt, die »nur das Beste will«, ein Widerspruch in
sich ist, wird hier nicht nur jedem Kind klar.
An Jurystimmen nahe kamen dem Buch von allen Dingen vor allem die
Geschichten des belgischen Autors Bart Moeyaert, der mit Brüder (Hanser)
seinen sechs Brüdern ein wunderbares literarisches Denkmal schrieb, und
Aller Anfang (Beltz & Gelberg), ein kunterbuntes, kluges und verblüffendes
Menscharium über die Entstehung der Welt, von den Schweizern Jürg Schubiger
und Franz Hohler literarisch ebenso um die Ecke gedacht wie von Jutta Bauer
poetisch ausgemalt. Dass die Erzählung Herznah (Fischer) der amerikanischen
Autorin Sharon Creech über die Mädchenjahre zwischen Barfußlaufen und
Tagebuchschreiben, über die Metamorphose einer Kinderfreundschaft in eine
Jugendliebe auf dem undankbaren Platz vier landete, würde Annie, die
Hauptfigur, kalt lassen: Es geht ums Laufen, nicht ums Gewinnen.
Die ZEIT-Jury, bestehend aus der Moderatorin Gabi Bauer, der Buchhändlerin
Hilde Elisabeth Menzel, dem LUCHS-Gründungsmitglied Marion Gerhard und dem
Schriftsteller Andreas Steinhöfel, bewegte sich diesmal vorwiegend im Land
und Jahr der Sach- und Bilderbücher. Das reichte von sorgfältig
recherchierten und ausgewählten Nachrichten, die Geschichte machten (cbj),
von Claus Kleber herausgegeben, über die fulminanten Bilder von Tieren in
der Kunst, Was macht der Bärim Museum? (Knesebeck), und die farbensatte
Künstlerbiografie Emil Nolde für Kinder von Mario Giordano (DuMont) bis zu
Antje von Stemms Extrembasteln (Gerstenberg), das Kindervergnügen mit
haftpflichtfreier Praxis verbindet. Licht aus!, ein Bilderbuch des
Amerikaners Arthur Geisert (Gerstenberg), kann man sowohl als
Konstruktionsanleitung für kleine Erfinder lesen wie als Trostbuch für
Kinder, die nicht im Dunkel einschlafen wollen, während Emily Gravetts
Bilderbuchgeschichte Achtung, Wolf! (Sauerländer) von Segnungen und Gefahren
des Lesens erzählt und in keiner öffentlichen (Hasen-)Bücherei fehlen
sollte. Dass Kunst und Kinder kein Widerspruch sind, ließ sich dann nirgends
augenfälliger belegen als im Pappbilderbuch mit Aufklapptieren der Französin
Isabel Pin Ein Regentag im Zoo (Bajazzo) sowie in einer Gedichtanthologie
mit dem aufmerkenswerten Titel Hör zu, es ist kein Tier so klein, das nicht
von dir ein Bruder könnte sein (Carlsen), in dem der Herausgeber Armin
Abmeier 60 Tiergedichte von 60 verschiedenen Künstlerinnen und Illustratoren
in kleine Schaustücke verwandeln ließ.
In Guus Kuijers Preisbuch Das Buch von allen Dingen zeigt die alte Dame dem
Jungen ein Gedicht von Annie G. Schmidt, ein Gedicht, in dem sich ein Herr
von Süße die Füße wusch, »samstags im Aquarium«. Es bedeutet nichts, erklärt
sie ihm, es sei einfach nur schön. Wer unter dem Weihnachtsbaum aufs Neue
die Erfahrung machen musste, dass die Kinder - unbestechlich, wie sie sind -
nach den »falschen« Büchern griffen, der darf sich und den Kindern mit Guus
Kuijer Mut machen. Es endet fast wie ein Märchen. Muss es auch, weil das
Leben einfach schön sein kann.
Konrad Heidkamp


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